(Originaltitel: “Claudia do Val e lições sobre bullying, bulimia, autoestima e abuso”, Carolina Lopes)
“Seit ich mich erinnern kann, war ich nie komplett zufrieden mit meinem Körper. Ich war es so gewohnt mein Aussehen zu hassen, dass ich eine Essstörung entwickelte.” Kannst du dir vorstellen, dass dieser Satz von einer Blackbelt- Athletin kommt, die dreifache Weltmeisterin ist? Claudia do Val sprach schon vor einiger Zeit in ihren sozialen Medien über Bulimie. 4 Jahre lang hatte die Athletin darunter gelitten, bis sie ihr Problem bemerkte und sich Hilfe suchte, “seine eigene Erscheinung zu mögen ist stark damit verbunden, sich selbst zu mögen und zu akzeptieren, wer man ist.”
In ihren Interviews hat Claudia uns viel mehr über das Leben beigebracht, als nur die Frage, wie es ist, Weltmeisterin zu sein. Sie spricht über Bulimie, Mobbing, Unsicherheit, Selbstwertgefühl und Missbrauch. Wenn du immer noch denkst, dass bestimmte Dinge nur dir passieren und dass du damit allein bist, dann lies diesen Text und verstehe, dass selbst unsere Idole das durchmachen, was auch wir erleben.
Mobbing und Bulimie
Mobbing kann viele Störungen und Traumata auslösen. Jede Person geht anders damit um, jedoch wissen wir, wie viele Personen schon darunter gelitten haben und wie oft dies Konsequenzen für das ganze Leben hatte. “Das Selbstwertgefühl ist das erste, was wir betrachten müssen, wenn wir über die Auswirkungen von aggressiven Mobbing auf das Verhalten der Menschen sprechen.”, sagt die Psychologin Cleyton Luís in einem Bericht im EBC.
Claudia erzählt in ihrem Interview für den Kanal und Podcast Jiu-Jitsu In Frames, dass sie in der Schule sehr stark gemobbt wurde und sie immer dachte “sie finden mich hässlich” wenn sie angeschut wurde. Über dieses Kapitel ihres Lebens erzählend, spricht sie von Empathie und wie wichtig es ist, dass Menschen nachdenken und sich in andere einfühlen.
Mehrfach hat sie versucht Gewicht zu verlieren. Sie dachte, eine Lösung sei, den ganzen Tag nichts mehr zu essen. “Immer wenn du das machst, kommt irgendwann der Tag, an dem du alles isst, was dir vor die Nase kommt. (…) Ich hatte einen dieser Tage und fragt mich ‘Oh man, was mach ich nun? Ich werde ein Abführmittel nehmen.'” Das war der Anfang. Irgendwann nahm sie 5 Dosen Abführmittel täglich.
“Als ich bemerkte, dass das ein Problem ist, dass es eine Krankheit ist, konnte ich offen darüber reden.” Also hat Claudia sich Hilfe gesucht und sich auf den Weg gemacht gesund zu werden. Sie sprach außerdem über den Prozess der Akzeptanz. “Heutzutage habe ich gelernt mich zu akzeptieren. Auch wenn ich auf die Waage steige und eine große Zahl sehe (…) bin ich nicht hoffnungslos und an dem Punkt, an dem ich denke ‘ich werde ein Abführmittel nehmen’ um mein Gewicht zu normalisieren.” Allem voran versucht sie Gesund zu sein.
Nachdem Claudia über die Bulimie gesprochen hatte, kamen andere Personen auf sie zu und berichteten, dass sie unter dem gleichen Problem gelitten haben. “Ich glaube, das wichtigste ist, dass du dich selbst liebst und akzeptierst. Auch wenn du mehr wiegst, bist du die gleiche Person.” Damit sie nicht gesehen wurde, hat sie einige Male versucht alles zu umgehen, selbst die Trainings. Jetzt sagt sie sich: “Es ist egal wie ich aussehe, deine Freunde mögen dich so wie du bist. Und wenn dich irgendwer nicht mehr mag, weil du zugenommen hast, dann ist das eine Person, die du nicht in deinem Leben brauchst.”
Jiu-Jitsu und Selbstwert
Wir reden die ganze Zeit darüber, wie wichtig Jiu-Jitsu für alle Praktizierenden, aber ganz besonders für Frauen, ist. Das war bei Claudia nicht anders. Als sie anfing zu trainieren, war sie komplett untrainiert. Sie erzählte im Interview mit Paola Diana im Programm Unleashed – The Game Changers, wie der Kampfsport ihr Leben verändert hat.
Im Alter von 18 Jahren begann sie Judo zu trainieren, ca. 3 Jahre später kam sie dann zum Jiu-Jitsu. Claudia berichtet, dass sie begann ich besser zu fühlen, Freundschaften zu schließen und zu mehr Selbstvertrauen zu bekommen: “Du fängst an Wettkämpfe zu bestreiten und wenn du das gut machst, gibt es Menschen, die dich bewundern.”
Auch ihre Haltung hat sich geändert. Von ‘auf der Straße unterwegs sein und denken, dass die Leute negativ über sie urteilen’, zu “ich gehe auf einen Wettkampf und sehe dort Personen, die mich beobachten und denke ‘Ich glaube sie wollen ein Foto, sind aber zu schüchtern.'” Sie sagt, der Sport habe eine komplette Veränderung ihres Selbstbewusstseins ausgelöst.
Im Interview fragt Paola, ob Claudia durch das Wissen über Jiu Jitsu und Selbstverteidigung sicherer auf der Straße wäre. Claudia antwortet, dass man nie weiß, wer oder was uns auf der Straße begegnet, allerdings “es ist besser zu Wissen wie man sich verteidigt und es nicht zu brauchen, statt sich verteidigen zu müssen und nicht zu wissen wie.” Zudem gibt sie zu bedenken, dass es viele Männer gibt, die versuchen würden, Frauen etwas anzutun und dass eine trainierte Frau in dem Falle ausreichend Wissen hätte, um sich zu verteidigen (insofern er unbewaffnet sei). “Ich denke, jede Frau auf diesem Planeten sollte irgendeinen Kampfsport trainieren.”
Karriere als Athletin
Dass Claudia do Val eine erfolgreiche Athletin ist, weiß inzwischen die ganze Welt. Sie ist auf dem ersten Platz des IBJJF-Ranking, Weltmeisterin und hat viele Titel gesammelt. Was viele vielleicht nicht wissen, ist, dass sie nicht schon immer trainiert hat und im Vergleich zu anderen Athlet*innen erst recht spät mit Jiu-Jitsu angefangen hat. Außer Kampfsport macht sie keinen weiteren Sport. Wenn du derzeit viel sitzt und denkst, du müsstest erst ein wenig trainieren, um mit Jiu-Jitsu anfangen zu können, solltest du deine Mentalität ändern! “Man kommt nicht in Form, um Jiu-Jitsu zu trainieren, man kommt in Form, indem man es trainiert.”, betont sie.
Sie erzählt, dass sie auch nach vielen Wettkämpfen immer noch sehr aufgeregt ist, wenn der Kampf ansteht. Ja, auch Spitzenathlet*innen erleben Unsicherheit und Nervosität. “Wenn du etwas machst, was wichtig für dich ist, wirst du immer aufgeregt sein. (…) Jiu-Jitsu bedeutet mir sehr viel und wenn ich kämpfe, schlägt mein Herz noch ein klein wenig stärker.”
Claudia war Teil des sehr bekannten Teams DeLaRiva, welches sie 2019 verließ. Im letzten Interview erzählte sie, dass sie bei Wettkämpfen keine Unterstützung ihres ehemaligen Lehrers (Mestre de la Riva) erhalten habe, dass sie ihre Kimonos mit Aufdrucken ihrer Unterstützer*innen aufgrund einer Kleiderordnung nicht trage durfte und dafür belangt wurde, im Fitnessstudio zu trainieren (was normalerweise nicht passiert bei Spitzensportler*innen).
Außerdem erzählte sie im Interview mit Paola Diana: “Das ist das Allgemeine. Es gibt noch etwas, das mir Anfang 2015 passierte, ein sehr sensibles Thema und ich weiß nicht, inwiefern ich darauf vorbereitet bin, darüber zu sprechen. Einige meiner Freund*innen wissen es. Es ist etwas, das etwas in mir zerstört hat.”
*Achtung: Auch wenn wir nicht ins Detail gehen, kann dich der folgende Inhalt triggern, wenn du schon mal Belästigung oder Missbrauch erlebt hat.
*TW: abuse
Missbrauch
So wie viele Frauen hat auch Claudia schon eine missbräuchliche Beziehung erlebt. Erinnert euch: eine derartige Beziehung fängt nicht mit Aggressionen an, sondern viel eher. Es gibt, außer der physischen Gewalt, viele weitere Formen von Gewalt, wie zum Beispiel psychische oder sexuelle Gewalt. Claudia kam geschwächt und “innerlich zerstört” aus dieser Beziehung. Aufgrund des Missbrauchs, aber auch wegen anderer persönlicher Probleme, über die wir hier schon geschrieben haben. Sie gab sich die Schuld, so lang in der Beziehung geblieben zu sein, allerdings trägt das Opfer nicht die Schuld.
Es ist sehr schwer und braucht viel Mut aus übergriffigen Beziehungen zu entkommen. Und gerade auch, weil Missbrauch in so vielen unauffälligen Formen auftritt, ist es so schwierig ihn zu bemerken und sich von diesem zu entfernen.
Kurz nachdem sie diese Beziehung beendet hatte, ist Claudia mit ihrem damaligen Lehrer Ricardo De La Riva etwas anderes passiert (Anfang 2015). Wer in dem Jiu-Jitsu Universum unterwegs ist, weiß, wie normal die Bewunderung für unsere Mestres und Lehrer*innen ist. Claudia erzählt, dass De La Riva wie ein Vater für sie gewesen sei. “Ich erinnere mich, als ich 2014 den braunen Gürtel erhalten hab, sagte er ‘sie ist wie eine Tochter für mich’ und ich dachte mir ‘ich bin nicht verrückt, ich bin wirklich wie eine Tochter für ihn.'”
Eines Tages schrieben sie via WhatsApp. Claudia erzählt: “Er schickte mir eine Nachricht, in der er schrieb ‘ich komme dann zu dir nach Hause, damit du mich massierst’ (…) Ich war sehr naiv, denn ich hatte nie daran gedacht, dass ich eine Frau bin und er ein Mann, denn er war wie Vater für mich.” Als sie erfuhr, dass er wirklich kommen wolle, fand sie die Situation merkwürdig und hoffte, dass er nur Spaß gemacht habe. Sie erzählt, sie hätte Panik gehabt und sich immer wieder gesagt “alles ist gut. Mein Vater kommt nur für eine Massage vorbei.”
Dann erzählt Claudia Paola: “Er kam und bat um eine Massage, mein Herz hätte fast meinen Körper verlassen, aber ich dachte ‘es wird gleich vorbei sein, ich hoffe er geht gleich wieder’. Dann hörte ich auf und er sagte ‘sehr schön. Jetzt bin ich dran'”. Sie erzählte, dass sie nicht “nein” habe sagen können, aber dass ihr Körper es gezeigt habe, dass das etwas war, was sie nicht wollte. “Das war keine bewusste Entscheidung, ich war wie paralysiert.”
Lange Zeit hat sie sich dafür die Schuld gegeben, nicht “nein” gesagt zu haben und so geht es vielen Frauen. Aber wir müssen erinnern: Es ist nicht die Schuld des Opfers. Es ist falsch anzunehmen, nur weil die Frau nicht “nein” sagt, dass sie will, dass du irgendetwas machst. In viele Fällen ist der Schock so groß, dass die Frau nichts sagen kann. Und trotzdem bleibt es Missbrauch und oder Belästigung.
Claudia stellt außerdem fest, dass das in diesem Moment kein Bitten um Erlaubnis war. Du kannst keine Frau anfassen, ohne vorher etwas zu sagen und denken, es sei alles gut. Übergriffe, Vergewaltigungen und Missbräuche sagen oft nichts über die Wünsche von jemanden aus, jedoch aber über die Lust des Mannes daran, Kontrolle und Macht auszuüben. Sich für eine Frau zu interessieren ist etwas anderes, als ihr Vertrauen zu benutzen, um sie zu Missbrauchen. Und behaupte bitte nicht, dass Zuneigung das Gleiche ist wie Missbrauch.
Die Athletin berichtet auch, dass sie sich vor den Reaktionen der Leute sorgte, wenn sie ihre Geschichte erzählen würde. “Ich versuchte zu vergessen was passiert ist, das war, als ich wieder Anfing, Wettkämpfe zu bestreiten und ich glaube, es war einer der Gründe, warum ich so viel reiste, so musste ich nicht immer da sein.” Claudia erzählt, dass sie Angst hatte und deshalb das Gym so spät verlassen habe.
Als sie schlussendlich das Gym verließ, fragten sie viele Leute nach den Gründen und sie nannte all die anderen Gründe, die sie zu der Zeit hatte “Ich glaube das waren genug Gründe um ein Gym zu verlassen, aber die Leute haben ihn bewundert und sagten ‘du solltest dankbarer sein, wie kannst du es wagen einfach zu gehen’. Ich hatte immer Angst vor der Reaktion der Leute, das war einer der Gründe, warum ich so lang brauchte, um das Team zu verlassen.”
Zudem sagte sie in dem interview etwas extrem wichtiges: “Leider passiert sowas oft in Gyms, ich hab von vielen Fällen gehört, in denen Mädchen und Frauen so etwas passiert ist. Deswegen hätte ich eher darüber sprechen sollen, aber ich hatte nicht die Kraft dafür, weil ich mir die Schuld dafür gab. (…) Als ich das erste Mal darüber sprach, spürte ich, wie mir ein Stein vom Herzen gefallen ist. Ich habe mit wenigen Leuten darüber gesprochen, aber umso öfter ich darüber sprach, desto erleichterter war ich.”
Über Missbrauch zu sprechen beschmutzt den Sport nicht. Vergewaltiger tun es!
Höre auf, die Augen zu verschließen und zu denken, dass Vergewaltigung, Missbrauch und Belästigung nicht existieren und nur “mimimi” seien. Es passiert, im Jiu-Jitsu, sowie in anderen Sportarten. Es passiert Zuhause, in der Kirche, auf der Straße, im Club. Und wenn du so tust, als würdest du es nicht sehen oder du siehst es und sagst nichts, dann hast auch du Mitschuld.
Eine andere Sache: Wenn du einer Frau nicht glaubst, wenn sie einen Fall von Missbrauch anzeigt, dann mach wenigstens ihr Leben nicht noch schimmer. Kommentiere nicht, verurteile nicht, kritisiere nicht, dass sie so lang gebraucht hat, ihre Geschichte zu erzählen. Nur eine Frau, die so etwas schon mal erlebt hat, weiß, wie schwer es ist Mut zu fassen Anzeige zu erstatten. Viele reden nicht mal darüber, weil es so weh tut.
Mayara Munhos hat zum Thema ‘Übergriffe auf der Matte’ geforscht und eine ganze Reihe an Material auf der Seite des Espn veröffentlicht. Hier kannst du den ersten Artikel lesen. Noch mehr Berichte von Frauen über Missbrauch auf der Matte kannst du in der Serie Vozes no Tatame, der UoL (Universo Online) lesen.
Denk nicht, dass wir das Jiu Jitsu beschmutzen, weil wir über Missbrauch reden. Menschen die übergriffig sind, beschmutzen den Sport. Es gibt kein Profil des Täters, oft ist es diese (scheinbar) wundervolle Person, die mit jedem gut klar kommt. Und wie eine Freundin mal zu mir sagte: “Missbrauch hat einen hässlichen Namen, aber manchmal kommt er in Form von Zuneigung.”
Mach es Publik! Schweige nicht. Es ist schwer, aber viele Leute werden dir zur Seite stehen.