Ein Bericht über einen queeren Jiu-Jitsu Sportler und seine Ängste

(Original: “Relato de um praticante de jiu-jitsu LGBT e seus medos”, by: David Torres)

Vor 4 Jahren schrieb ich hier einen Text, der die Integration von LGBTs ins Jiu-Jitsu, und damit einen sehr maskulinen Raum, problematisierte. Seitdem hat sich einiges geändert.

Es wird über Übergriffe in Trainingsräumen geredet und diskutiert, die Berichte darüber häufen sich, Gewalt, Sexismus und Übergriffe werden/ wurden auch von wichtigen Schwarzgurten begangen. Das Schweigen wurde zumindest ein wenig überwunden. Aber wer redet über queere Menschen? Haben sie sich unserem Sport angeschlossen? Auf welche Art und Weise?

Als ich den Text damals schrieb, wurde ich während eines Vortrags über Jiu-Jitsu an der Universidade Estadual de Feira de Santana (Staatliche Universität Feira de Santana) gefragt, wie im Jiu-Jitsu (einem Bereich, der von männlichen Rollenbildern geprägt ist und in einer Welt existiert, die geprägt ist von der Unterwerfung von Frauen und queeren Menschen) die Rezeption von Körpern sei, die nicht der heteronormativen Vorstellung entsprechen. Anhand der sich häufenden Berichte von Frauen muss ich feststellen, dass sexistsiche Kommentare und Übergriffe auf der Matte immer noch ein Thema sind. Und natürlich auch das Schweigen einiger Organisationen darüber.

Eine kleine Reflektion über unsere Gesellschaft. Im Zeitraum Januar bis Mai 2019 sind laut offiziellen Zahlen 141 queere Personen gestorben, davon wurden 126 ermordet und 15 begingen Selbstmord. Alle 23 Stunden wird eine Person aufgrund von Homophobie getötet. Auch wenn wir wissen, dass Homophobie eine Straftat ist, erleben wir immer noch abfällige Sprüche, wie “Bora Bicha”, “luta direito, viado” (Anmerkung: in etwa: “Kämpf doch mal wie ein richtiger Mann!”/ “Kämpf doch mal ordentlich.” Bicha und Viado hier als abwertende Bezeichnung für schwule Personen) und andere, die queeren Personen abwerten und diese ungleichen Machtbeziehungen in unserem Raum manifestieren. Und dabei es gibt sie (queere Menschen im Jiu-Jitsu). Versteckt. Aus Angst vor Repressionen versuchen sie jemand zu sein, der*die sie nicht sind oder wählen gleich Kurse die ausschließlich für queere Personen sind.

Es wäre schon merkwürdig, wenn es im Sport keine Reproduktion der Probleme gäbe, die wir auf der Straße und unseren Institutionen sehen: Vorurteile, Gewalt und Verfolgung. Aber: Teil unserer Entwicklung als Athlet*innen auf der Matte ist es, weiterhin Gewalt und Respektlosigkeit zu reproduzieren? Wir denken noch immer, dass es lustig ist, Menschen mit Sprüchen aufzuziehen, die abwertend gegenüber queerer Personen sind? Werden wir jemals Diskussionen über dieses Thema führen?

Mein Text heute möchte einen Bericht über eine betroffene Person vorstellen, die aus der Not heraus zu mir kam und den Mut hatte einen Bericht darüber zu schreiben, wie sich sein tägliches Leben auf der Matte gestaltet. Er erzählt von Angst davor, verurteilt zu werden. Angst vor Ausschluss aus einem Sport, mit dem er sich doch so stark identifiziert. Wir werden seine Identität schützen, in dem wir einen anderen Namen verwenden. Er hat Angst davor identifiziert zu werden und unter Repressionen zu leiden. Was mich sehr nachdenklich macht: Menschen haben Angst vor einem Umfeld, was ihnen allerdings lehren will, Angst zu überwinden.

Kommen wir zum Bericht von Cris:

Ich habe die Einladung erhalten einen Kommentar darüber zu schreiben, wie es ist schwul zu sein im Kampfsport, genauer im Jiu-Jitsu. Diese Aufgabe wurde mir im Januar 2020 anvertraut, aber erst heute, im April 2020 schreibe ich etwas. Ich habe mich gefragt, was der Grund für das lange Hinauszögern einer so einfachen Aufgabe gewesen ist, und das einzige, was mir einfiel war die Angst davor, geoutet zu werden. Die Angst davor, ausgeschlossen zu werden.

Erstmal kurz zur weltweiten Situation. Wir sind von einer unsichtbaren Krankheit geplagt, die in der Lage ist Familien und Freund*innen zu separieren. Diese Distanzierung lässt uns fragen, was wirklich hinter Dingen steckt und lässt uns verstehen, dass das Leben vergänglich ist. Das war der Grund, der mich ermutigt hat, den Bericht zu schreiben.

  • Wie mein erster Kontakt mit dem Sport war

Ich mag Krafttraining sehr, aber ich wollte auch immer etwas bewegteres machen als die sich wiederholenden Bewegungen im Fitnessstudio. Daher hatte ich schon immer viel Kontakt mit diversen anderen Sportarten. Als ich klein war, habe ich geboxt, aber irgendwann habe ich ein Aversion gegen den Sport entwickelt, weil ich mich durch meinen Vater gezwungen gefühlt hab. Ich musste den Sport machen um die gesellschaftliche Idee von  Maskulinität zu bestätigen, welche starke Männer und sensible Frauen fordert.

Der Sport hat mich nicht mehr glücklich gemacht, sondern war nur noch Verpflichtung. Ich bin nicht mehr zum Training gegangen. Stattdessen habe ich angefangen zu schwimmen, Handball zu spielen, Basketball, und einige andere Sachen. Allerdings habe ich mich im Sport nie gefunden.

Ich habe es immer geliebt zu lesen. Ich glaube, dass wir nur frei sind, wenn wir den wirklichen Sinn von Freiheit verstehen. Daher bin ich immer Diskussionen, die mich interessiert haben (Fragen zu Themen wie Geschlechterrollen, über POC und das Gay-Sein) auf Instagram oder Youtube gefolgt. Während einer Diskussion habe ich das Profil von David Torres gefunden, welcher über viele Themen berichtet, die mich interessieren und zudem noch Jiu-Jitsu-Trainer ist. Ich bin mit David in Kontakt getreten und er hat mit einige Informationen zum Training zukommen lassen. Die restliche Woche habe ich selbst noch mehr zum Sport geforscht und schon die Woche darauf fand ich mich im Probetraining und habe nie mehr aufgehört.

  • Was denken meine Freund*innen?

Meine Gruppe von Freund*innen ist klein, aber alle denken ungefähr so wie ich. Als ich ihnen erzählte, dass ich Jiu-Jitsu trainieren werde, fragten sie mich als allererstes, ob ich erzählen wolle, dass ich schwul sei. Einige fragten auch: “Und wenn es dir gefällt? Wirst du es genießen können?”

Diese Fragen ließen mich über zwei Dinge nachdenken:

  1. Es existieren zwei Welten (gay und hetero) mit sozial anerkannten Arten von Aktivitäten, schwule Menschen sollten tanzen, Heteros sollten kämpfen;

  2. Schwulen Menschen wird unterstellt, nicht in der Lage zu sein sich sexuell zu kontrollieren. Dass wir uns nur auf Penisse fixieren würden und nicht in der Lage wären, Kontakt mit anderen Männern zu haben, ohne uns vorzustellen, sexuelle Begegnungen mit ihnen zu haben.

Ich glaube, dass diese Ideen von der veralteten Vorstellung kommen, dass Homosexualität eine Krankheit sei und diese nur durch Kontakt mit anderen Homosexuellen “übertragen” werden könne (fragile Männlichkeit). Zu der Unwissenheit, wie es ist schwul zu sein, kommt die Tatsache, dass es wirklich komplett sexualisierte Gruppen gibt. Das kommt allerdings genauso in der Welt der Heteros vor und ist wohl eher eine Frage der individuellen Einstellung, als es was mit der sexuellen Orientierung an sich zu tun hat.

  • Meine Angst

Während der Trainings halte ich geheim, dass ich schwul bin, aus Angst davor, dass sich andere Kämpfer nicht wohl fühlen könnten, wenn sie mit mir trainieren. Ich versuche in den Trainings so “neutral” wie möglich zu sein, ich vermeide jeden unnötigen Kontakt mit den anderen Sportlern. … Ich habe Angst verurteilt zu werden, ich habe Angst, aus einem Sport ausgeschlossen zu werden, den ich in so kurzer Zeit lieben gelernt hab. Wir leben in einer Welt, in der ich mich, nur weil ich schwul bin, verstecken muss. Aus Angst vor Exklusion!

  • Was ich mir von diesem Text erhoffe

Ich hoffe, dass die Personen verstehen, wie schwer es ist, schwul zu sein und sich die ganze Zeit verstecken zu müssen! Dass sie verstehen, dass sie [ihrer absurden Logik nach] auch nicht mit Frauen rollen sollten, wenn sie mit mir nicht rollen wollen, nur weil ich schwul bin.

Wenn ich mit jemanden rolle denke ich an nichts weiter. Ich bin konzentriert darauf, die Bewegungen richtig auszuführen und mein Bestes zu geben. Mir ist es egal, ob mein*e Trainingspartner*in ein Mann oder eine Frau ist, groß oder klein. Das Einzige, was für mich wichtig ist, ist die Frage ob sie höher graduiert sind als ich, damit ich ihre Bewegungen besser analysiere, um später zu versuchen, sie genauso auszuführen. Ich wünsche mir nur Respekt, dass meine Trainingspartner*innen empathisch sind und ich mich aufs Training konzentrieren kann, ohne mir Sorgen darüber machen zu müssen, dass jemand merkt, dass ich schwul bin und mich dann mit anderen Augen betrachtet.

Ich möchte nur in dem Umfeld, was ich so sehr mag, der sein, der ich bin. Freiheit wird von Paulo Freire in seinem Buch “Pedagogia do Oprimido” als Angst vor Freiheit aus Sicht der Unterdrückenden und der Unterdrückten diskutiert. Freiheit nach George Orwell ist es, die Freiheit zu haben, sagen zu können, dass zwei plus zwei gleich vier sind. Für mich ist Freiheit der tägliche Kampf, derjenige sein zu können, der ich bin, egal in welcher Umgebung. Ich verstehe, dass mir die Freiheit nicht geschenkt wird, sondern dass sie jeden Tag erkämpft werden muss, aber dass kleine empathische Gesten diesen Weg stark erleichtern. In diesem Sinne möchte ich mit einem Zitat von Cecília Meireles schließen: “Freiheit ist ein Wort, das den Traum der Menschheit nährt, das niemand erklären kann, und das von allen verstanden wird …”

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